Freitag, September 13, 2019

Wahrscheinlichkeit für Leben

Wie wahrscheinlich ist Leben im Weltall

Das neue Buch von Dirk Schulze-Makuch und William Bains wirft unter dem Titel "Das Lebendige Universum" [1] die Frage auf, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für Leben im Universum ist. Die Autoren zergliedern den Weg zur menschlichen Zivilisation in mehrere Schritte, denen qualitativ eine Wahrscheinlichkeit zugeordnet wird. Einige Gedankengänge will ich aufgreifen und hier weiter entwickeln.

Die wichtigsten Schritte

Der Anfang ist am schwierigsten, wie ich weiter unten genauer betrachten will. Es geht um die Entstehung der ersten selbst-reproduzierende Entitäten (etwa Zellen) in der "Ursuppe". 
Wenn heißer Stein auf Wasser trifft entstehen komplexe Moleküle

Danach benötigt Leben eine zuverlässige Energiequelle, auf der Erde hat die Natur die Photosynthese gewählt. Eine gute Wahl, da die Sonne bei uns sehr viel Energie liefert. Auf anderen Planeten oder Monden könnten es vielleicht auch chemische Prozesse sein. Interessant ist hierbei, dass mehrmals in der Evolution Systeme zum Auffangen von Licht "erfunden" wurden. So unterscheidet sich das Chlorophyll in den Pflanzen grundsätzlich von den Rhodopsin in unseren Augen, das Licht aufnehmen kann und uns zum Sehen dient. Theoretisch könnte letzteres auch zur Photosynthese weiterentwickelt werden.
Photosynthese in Wasser un an Land bestimmen unsere Welt


Nach dem Einfangen von Licht ist die Umwandlung von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff ein entscheidender Schritt. Erstaunlicherweise hat sich der erzeugte Sauerstoff über eine Milliarde Jahre nicht sonderlich in der Atmosphäre angereichert, da erst einmal alles Eisen und viele andere Substanzen oxidiert wurden. Erst als alles verrostet war, blieb Sauerstoff übrig und reicherte sich auf über 30% an!

Sehr schlecht für das damalige Leben, aber sehr gut für Tiere, die das nutzen konnten. Nur wenn es genügend Sauerstoff gibt, heute sind es 21%, können Tiere ohne Photosynthese Energie gewinnen.

Ein weiterer kritischer Schritt war der vom Einzeller zum Vielzeller mit spezialisierten Zellen, nur damit sind große Lebewesen möglich, so wie wir.
Viele Lebewesen entwickelten ein Gehirn, andere ein größeres.

Die Erfindung eines Gehirns hat mehrmals stattgefunden, so unterscheidet sich ein Octopus-Gehirn fundamental von unserem, obwohl der Octopus erstaunlich schlau ist. 
Der (vor-) letzte Schritt ist Intelligenz, wie sie bisher nur der Mensch entwickelt hat. Intelligenz  zusammen mit Sprache ermöglicht es Hochkulturen zu entwickeln. 
Zuletzt eine technische, industrielle Zivilisation die Weltraumfahrt betreiben kann was, nebenbei bemerkt, einen Planeten erfordert, der nicht viel größer als die Erde ist, sonst funktionieren Raketen nicht.

Der kritische Schritt: Das Leben

Betrachten wir jetzt den kritischen ersten Schritt der Urzeugung genauer, jenseits der Analyse im Buch. Evolution funktioniert nur, wenn es ein Objekt gibt, das von sich selbst Duplikate erzeugen kann. 
Dazu ist Energie nötig und chemische Substanzen, die Komplexität unterstützen. Vermutlich waren das von Anfang an Aminosäuren, aber selbst das wissen wir nicht sicher. Klar ist aber, dass bereits sehr früh auf der Erde Vorgänge abliefen, die zumindest teilweise eine Veränderung bei der Zusammensetzung der Kohlenstoffisotopen verursachten. So hat man 4,1 Mrd. Jahre alte Einschlüsse in Zirkon gefunden, die eine unnatürliche Zusammensetzung haben [2]. Wenn es Leben war, dann ist das Leben auf der Erde mindestens 4,1 Mrd. Jahre alt!
Da die Erde aber erst von 4,4 Mrd. Jahren entstand, lief der Prozess zum Leben offensichtlich relativ schnell ab. 

Wie waren damals die Bedingungen? Ein Planet, so groß wie der Mars, schlug auf der Erde ein und führte zur Mondentstehung. Die Erde war zunächst eine glühende Kugel die sich langsam abkühlte. Dabei wurde dann die Temperatur unterschritten, ab der Wasser flüssig wird. Wir stellen uns also die Ozeane als kochende Suppe vor, die massiv mit Mineralien aller Art "verschmutzt" ist. Zudem gibt es Stellen, an denen aus der Tiefe mehr Wärme aufsteigt und in sogenannten schwarzen Rauchern, unterseeische heiße Wasserquellen die es noch heute im Ozean in geologisch aktiven Regionen gibt und viel Energie an das Meer abgeben.

Dieses thermische Ungleichgewicht ist ein wichtiger Antrieb für chemische Reaktionen. Wenn man vereinfacht annimmt, dass die ganze Erde von einem Ozean bedeckt war und es überall brodelte wie in einem Kochtopf, so kann man zumindest grob abschätzen, wie komplex mögliche Moleküle werden können. 
Energie, Wasser und Mineralien sind die Elemente um Leben zu erzeugen.


Der Ozeanboden hatte eine Fläche von 82 *10^9 m². Geht man davon aus, dass eine ca 100 Meter hohe Wasserschicht im völligen Ungleichgewicht war, sind das ca. 10^13 m³ in denen die Chemie experimentieren konnte. Wenn pro Kubikmeter Wasser ein Gramm Chemikalien gelöst waren, so sind das 10^10 Kilogram und wenn Kohlenstoff als wichtigstes Molekül eine Rolle gespielt hat, sind das etwa 10^33 Kohlenstoffatome. Geht man von einer Reaktionsgeschwindigkeit von einer Million Reaktionen pro Molekül und Sekunde aus, führt das im Laufe von 300 Millionen Jahren auf 10^22 Reaktionen pro Molekül, zusammen mit den vielen Molekülen sind das 10^55 Versuche, die die Natur hatte. Dies ist natürlich eine sehr grobe Abschätzung, aber die Realität dürfte nicht um mehr als einen Faktor 10^20 davon abweichen.

Bei einem Würfelspiel könnte man mit 10^55 Versuchen leicht ein 70er Pasch werfen, also 70 mal hintereinander eine Sechs! Die Frage lautet also, gibt es bereits selbst-reproduzierende Moleküle die "nur" eine Komplexität von dieser Größenordnung haben. 

Einen interessanten Hinweis gibt die Analyse von Zellulären Automaten, die Stephan Wolfram im Buch "A New Kind of Science" [3] eingehend untersucht hat. Dort findet er, dass bereits ein Automat, der nur auf einer acht Bit langen Kette beruht und bereits Komplexität erzeugt. Das bedeutet in diesem Fall, in einer vom 256 verschiedenen Anordnungen findet man ausreichend Komplexität um beliebig komplexe Muster zu erzeugen. Das ist nicht mit Leben gleichzusetzen, aber sehr überraschend.

Betrachtet man die Komplexität vieler Proteine in Lebewesen, neige ich zur Antwort, ja das scheint plausibel, aber es ist schwer zu belegen. Möglicherweise benötigt man viel komplexere Moleküle, die menschliche DNA hat Milliarden Bausteine, aber es wurde ja auch nicht sofort ein Mensch in der Ur-suppe erzeugt! Leider gibt es keine Ursprünglichen Zellen mehr, alle haben im Lauf von 4 Mrd. Jahren enorm an Komplexität gewonnen und geben uns keinen direkten Hinweis auf die ursprüngliche Komplexität.

Sollte die Komplexität ausreichen, dann findet man sicher im Universum an verschiedenen Stellen Leben, benötigt man aber eine höhere Komplexität  dann endet man sehr schnell bei der Aussage, dass viele Universen, von der Größe wie unser sichtbares Universum sind, notwendig sind um den Zufall Leben zu generieren. 

Leben ist möglich

Wir wissen sicher, dass Leben möglich ist, sonst würden wir das Leben und wir uns nicht beobachten. Offensichtlich ist das Leben innerhalb kurzer Zeit, verglichen mit dem Alter der Erde, entstanden. Unter der Annahme, dass das Leben erst nach längerer Zeit in der Ursuppe entstanden ist, ist auch klar, warum das im Labor nicht leicht nachzuahmen ist. Die Bioreaktoren sind um sehr viele Größenordnungen zu kein und die Wartezeit ist zudem sehr groß, in menschlichen Maßstäben gemessen. 

Um entscheiden zu können, ob es eine Tendenz gibt, dass in Wasser unter günstigen Umständen Leben leicht entsteht hilft nur die Untersuchung vergleichbarer Bedingungen. Das bedeutet, wir müssen zu den Jupiter und Saturnmonden reisen, die offensichtlich Ozeane aus Wasser unter dem Eis haben. Wenn wir dort Leben entdecken, dann ist die Frage nach der Wahrscheinlichkeit für Leben gut eingegrenzt. Wenn wir immer nur sterile Welten antreffen, dann spricht einiges dafür, dass das Leben wirklich ein sehr seltener Zufall ist.

Warum wir das wissen müssen?

Bleibt noch die Frage, warum die Beantwortung der Frage nach der Wahrscheinlichkeit für Leben sehr brisant ist. 

Wenn die Entstehung von Leben ein relativ wahrscheinlicher Prozess ist, dann wird die Frage, warum wir bisher keine andere Zivilisation im Weltall getroffen haben wichtig. Tatsächlich erscheint es so, wenn ich dem Buch "Das Lebendige Universum" folge, dass die weiteren Schritte, etwa Photosynthese, sexuelle Fortpflanzung, komplexe Gehirne usw. vermutlich immer wieder erfunden werden, da die Evolution einfach ein extrem effizientes Verfahren zum Abtasten der Möglichkeiten ist. Genaugenommen sind die einzelnen Schritte nicht alle gleich einfach zu erreichen, aber hinreichend gut auffindbar.
In Erinnerung an Professor Ruder und das Weltall


Das bedeutet aber, wenn Leben leicht entsteht, dann entsteht zwangsläufig auf geeigneten Planeten nach einigen Milliarden Jahren eine weltraumfahrende Zivilisation. Für diese Zivilisation ist es möglich, unsere Galaxie, die "nur" 100.000 Lichtjahre groß ist, innerhalb einiger Millionen Jahre zu besiedeln.

Da diese Besiedelung offensichtlich nicht erfolgt ist, muss es noch ein zweites Problem geben, wenn man eine galaktische Zivilisation werden will. Dieses Problem wird oft als der Große Filter bezeichnet. Er könnte vor uns liegen und in Form von einer massiven Katastrophe eintreten. Diese Katastrophe wäre von derartigen Dimensionen, dass das Leben als solches auf der Erde vernichtet wird.
Was könnte es sein?
  • Ein Atomkrieg ist zwar schrecklich, würde aber vermutlich nicht einmal die Menschheit auslöschen sondern "nur" einige Milliarden Menschen töten.
  • Ein Biounfall könnte ähnliche Auswirkungen haben aber schwerlich das Leben als solches zerstören.
  • Der Klimawandel ist eher unter "harmlos" einzustufen, solange er nicht Verhältnisse wie auf der Venus erzeugt.
  • Kann die künstliche Intelligenz alles zerstören, darüber wissen wir wenig, Nick Bostrom hat das näher analysiert.
  • Gibt es noch unverstandene Naturgesetze oder Anwendungen analog der Atombombe, die einen Planeten komplett zerstören kann, das ist reine Spekulation.
Als alternative Erklärung kann natürlich dienen, dass wir einfach die Ersten sind und alles gut weiter geht. Damit das aber nicht reine Spekulation beleibt, ist es wichtig zu diesen Fragen intensiv zu forschen, insbesondere Astronomie, Biologie und Geologie können dafür wichtige Erkenntnisse bringen. 

Es wäre doch zu schade wenn der erste Funke Leben im Universum sich selbst auslöscht!

Quellen:

[1] Das lebendige Universum, Dirk Schulze-Makuch, Dr. William Bains, Springer Berlin Heidelberg, 2019, Print ISBN: 978-3-662-58429-3, Electronic ISBN: 978-3-662-58430-9
[2] Erstes Leben schon vor vier Milliarden Jahren? scinexx 2015
[3] A New Kind of Science. Wolfram Media Inc., Champaign Ill 2002. ISBN 1-57955-008-8.