Donnerstag, August 06, 2020

Kernfusion mit ITER

Kernfusion im Fusionsreaktor ITER

Die lange Suche nach dem goldenen Gral der Energiegewinnung, der Kernfusion, soll mit dem ITER ein Ende finden. Doch ist das realistisch und der richtige Pfad? In diesem Blog will ich näher auf die Entwicklung der Fusion und auf offensichtliche Probleme eingehen.

Kernenergie statt chemische Energie

Im 20. Jahrhundert hat die Menschheit entdeckt, dass es neben der chemischen Energie, die wir etwa beim Verbrennen von Öl und Kohle freisetzen, eine wesentlich energiereichere Quelle gibt, die Kernenergie. Der Unterschied liegt bei etwa einem Faktor eine Million. Der Faktor eine Million ist so gewaltig, dass man sich das als Mensch kaum vorstellen kann, es genügt eben in der Kernenergie ein Gramm, wo bei chemischer Energie eine Tonne Brennstoff benötigt werden.

Erstaunlicherweise gibt es sogar zwei prinzipiell völlig verschiedene Ansätze die Energie aus Atomkernen zu gewinnen. Man verschmilzt (fusioniert) zwei leichte Kerne, etwa die Kerne des Wasserstoffs und erhält extrem viel Energie und einige Heliumatome oder man spaltet schwere Elemente wie Uran und bekommt ebenfalls sehr viel Energie und einige Abfallprodukte.

Die Atombomben

Während des Zweiten Weltkriegs gelang es der USA, unter Führung vom italienischen Physiker Enrico Fermi, innerhalb von drei Jahren einen Kernreaktor in Chicago 1942 zum Laufen zu bringen. Dies geschah im Rahmen des Manhattan-Projekts, das direkt auf die Atombombe führte, die 1945 erstmals gezündet wurde.



Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es, mit der extremen Hitze einer Atombombe Wasserstoff zu zünden und damit die fast hundertmal so energiereiche Wasserstoffbombe zu bauen. Man beachte an dieser Stelle, dass zum Zünden der Wasserstoffbombe eine Atombombe nötig ist, zum Zünden der "normalen" Atombombe aber normaler Sprengstoff genügt! Damit bekommt man am schnellsten ein Gefühl, wie schwer es ist, eine Kernfusion zu realisieren.

Atoms for Peace

Die schrecklichen Bilder der Atombombenabwürfe vor Augen, hat den US-Präsidenten Eisenhower 1953 dazu gebracht, in der UNO "Atoms for Peace" auszurufen. Das Ziel, mit Kernreaktoren Strom zu erzeugen und dabei der Menschheit mit der sauberen Energie zu dienen. Bereits 1954 gab es in der UDSSR einen ersten Kernreaktor mit nennenswerter Stromerzeugung (5 MW). 

Naheliegend war es, auch einen Fusionsreaktor zu bauen, der einige der Probleme mit Kernreaktoren umgeht, insbesondere die mühsame Anreicherung von Uran 235, das für die meisten Reaktoren benötigt wird. Wasserstoff hingegen scheint praktisch unlimitiert verfügbar zu sein und daher begann auch die Forschung nach der Kernfusion zur selben Zeit. Genaugenommen gab es das erste Patent 1946 und das erste Plasma mit Fusionsreaktion im Imperial College 1950. Danach verlief die Forschung zur Kernfusion für einige Zeit im Geheimen, da sie in den Bereich der Kernwaffenentwicklung fiel.

Während die Entwicklung der Kernreaktoren, die auf der Spaltung von Uran beruhten relativ bald kommerzielle Anwendung fanden, kam die Kernfusion nicht voran. Das liegt an vielfältigen Problemen, die es bei der Fusion gibt.

Probleme der Kernfusion

Das zentrale Problem ist, dass die Kernfusion darauf beruht, dass zwei Protonen so nahe zusammen kommen, dass die Kernkraft* wirkt und damit eine Fusionsreaktion einsetzt. Das erfordert letztendlich eine hohe Temperatur, die im Bereich von hundert Millionen Grad liegt. Im Vergleich dazu, kann man bei der Kernspaltung mit Neutronen arbeiten, die bei jeder Temperatur einen Kern spalten können.

Offensichtlich gibt es keine Gefäße, die Millionen von Grad aushalten, so muss man auf spezielle Tricks ausweichen, um die Temperatur zu erreichen. Neben dem Trägheitseinschluss und anderen Methoden, die beim ITER keine Rolle spielen, will ich nur den magnetischen Einschluss von Plasmen betrachten.

Netterweise gibt uns die Natur Magnetfelder, die in einem geschlossenen Torus Plasma fast perfekt festhalten können. Damit das Plasma eine Fusionsreaktion zeigt, sind einige wichtige Randbedingungen zu beachten:
  1. Aufheizen des Plasmas
  2. Stabil halten
  3. Keine Abstrahlung durch Fremdatome (Eisen**)
  4. Druck aufrechterhalten
Neben diesen technischen Problemen mit dem Plasma kommen jetzt einige ingenieurtechnische Probleme. Sollte das Plasma brennen, dann entsteht Energie, die durch die erste Wand abgeführt werden muss. Diese Wand muss sehr viele Nebenbedingungen erfüllen, die praktisch kaum zu erfüllen sind:
  1. Extrem hohe Temperaturen (weit über 1000°C) 
  2. Neutronen aus der Fusion sollen wenig Radioaktivität erzeugen
  3. Material soll Tritium erzeugen
Als weiteres muss die Geometrie ein vernünftiges Verhältnis zwischen Volumen und Wand ergeben, das erscheint mir das schwerwiegendste Problem. Betrachtet man den Aufbau sehr vereinfacht, dann wächst die Wandfläche mit der zweiten Potenz, das Volumen mit der dritten Potenz. Damit man bei einer gewissen Fusionsdichte gute Resultate erzeugt, muss einerseits der Reaktor groß sein und vielleicht 4 GW thermische Leistung erzeugen, andererseits muss die Wand so groß sein, dass die Energie die Wand nicht sofort verdampfen lässt. 

Im ITER beträgt das Volumen etwa 1000 m³, die Oberfläche beträgt etwa 1000 m². Bei einer geplanten maximalen Leistung von 500 MW gehen also durch jeden Quadratmeter 500 kW. Skaliert man diese Werte auf einen 4 GW Reaktor (Verdopplung des Systemradius), steigt der Energiefluss pro Quadratmeter Wand auf 1000 kW. Das entspricht der Wärmeabstrahlung bei 1700°C, Eisen ist da längst flüssig.

Um in derartig großen Volumina ein Magnetfeld von über 10 Tesla aufzubauen, sind Supraleitende Magneten erforderlich und zudem eine extrem massive Struktur, damit nicht alle unter dem Magnetfeld kollabiert. Im ITER sind dazu bereits 6 cm dicke Stahlstrukturen erforderlich. Letztendlich kann man das Volumen kaum sinnvoll vergrößern, ohne auf der anderen Seite Magnetfeldstärke zu verlieren.

Das Tritium Problem

Obwohl in der Presse oft suggeriert wird, ein Fusionsreaktor nütze Wasserstoff, so wie er im Wasser vorkommt, stimmt das nicht.

Die Fusion von normalen Wasserstoff erfordert derart hohe Temperaturen und Druckbedingungen (inneres der Sonne), dass diese Lösung nicht angedacht wird. Damit man überhaupt eine Chance hat, die Fusionsreaktion dauerhaft zu realisieren, muss man Deuterium und Tritium fusionieren. Deuterium kommt im normalen Wasser zu einem kleinen Prozentsatz vor, Tritium nicht. Tritium kann etwa aus Lithium erbrütet werden, indem Neutronen aus der Fusionsreaktion eine entsprechende Reaktion hervorrufen. Tritium ist aber ein besonders unangenehmes radioaktives Element.
Das Isotop Tritium verhält sich wie Wasserstoff, dringt also durch alle Materialien und hat eine Halbwertszeit von 12 Jahren. Damit ist aber der gesamte Reaktor nach einiger Zeit mit Tritium kontaminiert. Damit kann man in einem normalen Reaktor leben, da niemand in das Reaktorgefäß hineinsteigen will. 
Leider ist es bei der Kernfusion anders, die erste Wand, also jener Bereich der weit über 1000 °C warm wird, muss nach etwa 2 Jahren ausgetauscht werden. Die Form des Reaktors ist aber nicht einfach ein Brennstab, den man gut unter Wasser wechseln kann, sondern ein Torus mit mehreren zehn Metern, dessen Innenseite ausgetauscht werden muss. Welche Roboter das kostengünstig und schnell machen weis aktuell niemand.

Das Verhalten von Plasma

Heißes Plasma ist ein sehr schwer beherrschbares System. Das liegt daran, dass die geladenen Teilchen, Elektronen und Protonen getrennt ihre merkwürdigen Wege im Magnetfeld gehen und dabei selbst Magnetfelder erzeugen. Ein Phänomen ist dabei die Kink Instabilität, die ich hier im Detail nicht analysieren will, aber die bisher nicht gelöst ist.
Einen gewissen Eindruck vermittel ein Gewitterblitz, der einem Plasma im Fusionsreaktor nicht so unähnlich ist. Sehr selten (nie↯) sieht man einen pfeilgeraden Blitz, sondern immer eine hoch komplizierte Form, die durch das eigene Magnetfeld völlig instabil ist. Um dies zu berechnen wurden nicht umsonst die ersten Supercomputer in der Plasmaphysik eingesetzt. Ich erinnere mich noch an meine Arbeit im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching, als ich auf der gemütlichen Bank eines Cray-Computers sitzen durfte. 

Zeit und Innovationen

Widmen wir uns jetzt der Zeit, die vergangen ist, seit der erste Versuch unternommen wurde einen Fusionsreaktor zu verstehen. Es liegen jetzt 70 Jahre Forschung hinter uns, und es wurde keine grundsätzlich neue Idee im Bereich der Tokamak Fusion geboren. Sicher, man hat die Anlagen immer größer gebaut und einige Erkenntnisse über die Probleme gewonnen. Aber die Einschlusszeit und Temperatur, die nötig sind um ein Plasma dauerhaft zu zünden, wurden nicht erreicht.
Karte der Entwicklung in Richtung Zündung (Ignition) [1]
Dem stark doppellogarithmischen Bild entnimmt man, dass man zwar in Richtung Zündung vorangekommen ist, aber immer noch fast eine Zehnerpotenz vom Ziel entfernt ist. Wie man der "Karte" entnimmt, sind in den letzten Jahrzehnten nur geringe Fortschritte erzielt worden, die Punkte liegen dichter, es fehlt an Ideen, wie man höhere Temperaturen, Dichte und Drücke erreichen kann. 

Der Versuch mit aller Gewalt einen Reaktor zu bauen, ist natürlich möglich, wenn Kosten keine Rolle spielen, wie in der staatlichen Forschung zum ITER. Und ich will auch nicht ausschließen, dass eine Zündung gelingt. Aber damit ist man noch weit von einer Energieerzeugung weg und noch viel weiter von einer ökonomischen Lösung.

Es gab in der Innovationsgeschichte immer wieder Fälle, in denen man in eine Sackgasse gerannt ist, als Beispiel sei die Supraleitung genannt, die mit vielen Mitteln unterstützt wurde und im Bereich der metallischen Supraleitung nie den Temperaturbereich von flüssigen Helium verlassen hat. 

Bis dann aus völlig anderen Überlegungen heraus die Hochtemperatursupraleitung bei der IBM von Bednorz und Müller gefunden wurde. Leider aber immer noch bei Temperaturen, die flüssigen Stickstoff erfordern und mit Materialien, die nicht gut zu verarbeiten sind. 

Ähnlich hat es sich mit der Entwicklung von Flugzeugen verhalten, am MIT wurde dazu gegen Ende des 19. Jahrhunderts dazu intensiv geforscht, die Lösung haben dann Fahrradhändler, die Gebrüder Wright, gefunden!

Aktuell sehe ich auch in der Forschung nach einem Energiespeicher auf Wasserstoffbasis (nicht mit Fusion zu verwechseln) in einer Sackgasse. Seit über hundert Jahren kennen wir die Brennstoffzelle, aber bis heute gibt es keine ökonomische, energetische Nutzung von Wasserstoff, obwohl viele Forschungsmilliarden auch hier verwendet wurden.

Auswege aus der Sackgasse

Wenn es eine Lösung für die Kernfusion geben soll, dann wird das sicher aus einer überraschenden Ecke kommen. Es gibt viele interessante Ansätze, so könnte es eine völlig neue Konfiguration des Plasmas sein, wie sie von Eric J. Lerner im LPPFusion Projekt vorgeschlagen wird.
Andere Pfade beschäftigen sich mit verschiedenen Wegen, dem Trägheitseinschluss und immer noch exotisch ist die kalte Fusion, die neuerdings eine gewisse Förderung der EU bekommt. 



Doch wozu Fusionsreaktoren erforschen, wenn es funktionierende Kernreaktoren gibt, insbesondere neue Ansätze wie der Flüssigsalzreaktor auf Thorium Basis scheinen sehr vielversprechend. Thorium ist ebenfalls eine Substanz, die in derart großen Mengen in der Erdkruste existiert, dass man zumindest für weitere tausend Jahre genügend Brennstoff hat, selbst wenn man die gesamte Energieversorgung der Erde darauf umstellt. 

Und in einigen Tausend Jahren haben wir mit Sicherheit neue Lösungen für die Energiegewinnung gefunden, die völlig überraschend aus heutiger Sicht sind. 
Ein Turmbau zu Babel erreicht nicht den Himmel, damals, vor einigen tausend Jahren, war die Technik nicht so weit, heute Nutzen wir Raketen, ein völlig anderer Ansatz.

Daher appelliere ich an die Politik, gebt den vielen Ideen eine Chance und setzt nicht das ganze Geld auf eine Karte, 20 Milliarden für den ITER sind zu viel.
Doch solange das Versprechen der Forscher kommt, in 30 Jahren sind wir am Ziel, wird kein Politiker es wagen, das Projekt zu beenden, da er in 30 Jahren niemanden mehr Rechenschaft schuldig ist. 

Anmerkungen

* hier ist die Kraft, die die Atomkerne zusammenhält, wörtlich gemeint
** ich erinnere mich an meine Zeit am IPP, als ich die Temperatur des Plasmas mithilfe der Thomson Streuung messen sollte, viel Energie des Plasmas geht durch hoch angeregte Atome wie Eisen verloren, die leicht in das Plasma eindringen und extreme Kühlwirkung haben.
# Es gibt ein goldenes Vlies und einen heiligen Gral, ich nehme mal goldenen Gral, den gibt es nicht.
[1] Nuclear Engineering and Technology 41(4):455 · May 2009
Lesenswert: Für immer ein Traum (taz)

1 Kommentar:

Unknown hat gesagt…

Alle wussten doch schon vorher, dass auch dieses "Gerät" nur ein weiteres Versuchslabor ist. Der nächste "Versuchsreaktor" DEMO kommt bestimmt.
Mit dem Übergang von ITER zu DEMO wird sich die Fusion von einem wissenschaftlichen und experimentellen Programm zu einem industrie- und technologie-orientierten Programm UND EINEM WEITEREN MILLIARDENGRAB entwickeln.